Politik
pt Januar 2021

Behandlung vom Chatbot

Digitale Gesundheitsanwendungen sind kein Ersatz für echte Therapie

Der Digitalisierung von medizinischen Leistungen sind seit Inkrafttreten des DVG (Digitale-Versorgung-Gesetz) nun auch in Deutschland Tür und Tor geöffnet. Seit 19. Oktober 2020 befinden sich die ersten digitalisierten Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Erprobungsphase und können ärztlich rezeptiert werden. Doch wie sinnvoll sind die neuen Apps zur Behandlung von nicht spezifischen Rückenschmerzen, Kox- oder Gonarthrose eigentlich?

Ein Kommentar von Bernd Brechtelsbauer und Achim Hein
Lesezeit: ca. 4 Minuten
sdecoret/shutterstock.com

Eine Grundvoraussetzung für die Aufnahme von Apps in das DiGA-Verzeichnis ist das Wegbleiben der Interaktion und Kommunikation zwischen Patient und Therapeut. Somit wird dem Patienten eine „Behandlung“ angeboten, welcher zwar gegebenenfalls eine ärztliche Diagnose zugrunde liegt, jedoch keine Befundung durch einen Physiotherapeuten.

Die Apps vermitteln dem Patienten also automatisch generierte Übungen, die „Therapieerfolge“ bespricht der Patient mit einem Chatbot. Somit willigt der Gesetzgeber wissentlich und gezielt in einen Qualitätsverlust in der Behandlung bei einigen der häufigsten und teuersten Krankheitsbilder ein und verzichtet auf die gesetzlich geregelten Tätigkeiten, welche ein Physiotherapeut zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Patientenversorgung zu erbringen hat. Dazu gehören unter anderem:

  • die Erhebung und Feststellung des individuellen Bedarfs
  • die Organisation, Gestaltung, Steuerung, Dokumentation, Reflexion und Evaluation des Therapieprozesses
  • die Anwendung geeigneter Verfahren innerhalb der Physiotherapie

Physiotherapeuten müssen zweckdienliche und zielgerichtete Interventionen durchführen, doch im Kontext von DiGAs werden diese Anforderungen einfach ignoriert.

Büchse der Pandora?

Trotzdem hat das deutsche Gesundheitssystem den Weg geebnet, die Therapie komplexer muskuloskelettaler Krankheitsbilder auch an automatisierte Algorithmen abzugeben und die Kostenübernahme durch unsere gesetzlichen Sozialversicherungen zu sichern. Und das konkret mit 240 Euro pro rezeptierter App – für die App bezahlen die Kostenträger also mehr als für eine persönliche und individuellen Physiotherapie. Ist das nicht vergleichbar mit der Büchse der Pandora?